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18. Februar 2020

Zusammenfassung der Studie „Ist Grünes Wachstum möglich?“

In ihrer Studie „Is Green Growth Possible?“ [1] (Ist Grünes Wachstum möglich) ziehen Jason Hickel und Giorgos Kallis verschiedene empirische Studien heran, die den Ressourcenverbrauch und die Kohlenstoffemissionen in Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum betrachten. Sie wollen damit untersuchen, inwieweit der wissenschaftliche Erkenntnisstand mit der internationalen Handlungsprämisse zur Etablierung von Grünem Wachstum übereinstimmt.

Zur Idee vom Grünen Wachstum   

Die Idee und das Konzept vom Grünen Wachstum ist zur dominierenden politischen Antwort auf den Klimawandel und die ökologische Krise geworden – vor allem durch die Rio+20 Konferenz, auf der das Konzept ein hoher Stellenwert zukam. Dabei ist das Konzept nicht nur Teil von nationalen und internationalen Regularien, sondern wird auch von großen internationalen Organisationen gefördert. In der Theorie beschreibt Grünes Wachstum, dass wirtschaftliches Wachstum – gemessen durch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) – innerhalb der ökologischen Grenzen unseres Planeten auch weiterhin möglich wäre. Es wird davon ausgegangen, dass die absolute Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch und von Kohlenstoffemissionen möglich wäre. Dies würde die Grundlage für ein nachhaltiges, ökologisch tragbares Wirtschaftswachstum bilden.

In einem ersten Schritt untersuchen die Autoren, wie Grünes Wachstum genau definiert ist. Doch stellen sie fest, dass eine einheitliche und genaue Definition bislang nicht existiert. Die drei großen befürwortenden Institutionen des Grünen Wachstums – die Weltbank, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und die OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development [Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung]) – definieren den Begriff unterschiedlich. Die Weltbank sieht vor allem die effiziente Nutzung von natürlichen Ressourcen, eine Minimierung der Umweltverschmutzung und –schäden, sowie Resilienz gegenüber Naturkatastrophen als Kernelemente des Grünen Wachstums. Hingegen definiert das UNEP Grünes Wachstum als den Einklang von wachsendem Einkommen, Verbesserung des menschlichen Wohlergehens und der Reduzierung von Umweltrisiken. Der Fokus der OECD liegt mehr auf der Bereitstellung der Ressourcen und Ökosystemdienstleistungen durch die Natur, auf denen der Wohlstand beruht, bei der anhaltenden Förderung des Wirtschaftswachstums. Alle Definitionen sind aber wenig präzise.

In der Theorie soll die Wirtschaft durch weiteren technologischen Fortschritt, Wandel und Substitution effizienter werden. Durch die Effizienzsteigerung würden in der Summe weniger Ressourcen verbraucht und damit würde die wirtschaftliche Produktion ökologischer werden. Staaten können diesen Transformationsprozess mit den richtigen Gesetzen beschleunigen. Dabei unterscheiden sich die drei Akteure auch hier, welche die richtigen Ansätze wären. Nur das UNEP setzt die absolute Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch dabei auf die Agenda. Doch ist diese absolute Entkopplung überhaupt möglich?

Kann wirtschaftliches Wachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppelt werden?

Diese Frage untersuchen die Autoren im nächsten Schritt. Wenn der wirtschaftliche Ressourcenverbrauch gemessen werden soll, wird herkömmlich der Faktor „domestic material consumption“ (DMC) herangezogen. Dieser beschreibt das Gesamtgewicht der extrahierten Biomasse, Mineralien, Metalle und fossilen Brennstoffe in einem Land, sowie Importe minus die Exporte. Dabei gibt dieser Faktor jedoch keinen Hinweis auf den ökologischen Fußabdruck der jeweiligen Materialien. Um die Ressourceneffizienz einer Wirtschaft zu berechnen, wird das BIP durch den DMC dividiert. Wenn das BIP stärker wächst als der Ressourcenverbrauch, es also eine relative Entkopplung gibt, wird eine Wirtschaft ressourceneffizienter. Nach dieser Berechnung scheint die relative Entkopplung in vielen Staaten mittlerweile erreicht zu sein. Manche europäischen Staaten hätten sogar eine absolute Entkopplung erreicht, also ein wachsendes BIP bei gleichzeitiger Reduzierung des Ressourcenverbrauchs. Solche Daten stützen das Narrativ vom nachhaltigen und vor allem möglichen Grünen Wachstum. Als problematisch beschreiben die beiden Autoren aber, dass das DMC als Indikator nicht geeignet ist, da es Verbrauch und Auswirkung der Produktion und des Transportes von Materialien nicht berücksichtigt. Durch die stetige Auslagerung der Produktion aus den reichen in ärmere Länder werden auch die Ressourcenverbräuche unter dem DMC verschoben. Durch die Änderung der Produktionsstandorte können zwar relative Entkopplungen in einem nationalen Rahmen auftreten, jedoch ist der materielle Fußabdruck des Globalen Nordens immer noch enorm. Und wird dieser Fußabdruck anstelle des DMC herangezogen, wird schnell klar, dass es weder eine absolute noch eine relative Entkopplung bisher je gab.

Zusätzlich steigt aktuell der Ressourcenverbrauch im Globalen Norden auch wieder stärker. Die Ursache liegt vor allem im Wachstum des materialintensiven Dienstleistungssektors. Denn die Behauptung, dass die Veränderung der Wirtschaft zu einer stärker auf Dienstleistungen basierenden Wirtschaft den Ressourcenverbrauch langfristig senken würde, ist falsch. Die Infrastruktur und Technik, die im Dienstleistungssektor eingesetzt wird, benötigt enorme Mengen an verschiedenen Ressourcen über den ganzen Lebenszyklus – von der Produktion über die Nutzung bis zur Entsorgung.

Ebenso wie die Ausbreitung des Dienstleistungssektors wird auch der technische Fortschritt und die Steigerung der Effizienz in der Produktion nicht zur Ressourceneinsparung beitragen, da keine dauerhafte Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch möglich ist. Eine Effizienzsteigerung kann nur bis zu einem bestimmten Grad erfolgen, danach wird Wirtschaftswachstum immer auch mehr Ressourcenverbrauch bedeuten. Langfristig ist damit eine Entkopplung vom Wirtschaftswachstum und dem Ressourcenverbrauch und damit Grünes Wachstum nicht erreichbar.

Ein zusätzliches Problem im Effizienzdiskurs sehen die Autoren darin, dass jede Einsparung von Ressourcen – egal wie klein – als ökologisch und nachhaltig angesehen wird. In dieser Einsparung zählen jedoch Zahlen vielmehr als ökologische Ziele und Anforderungen. Nachhaltiges Wirtschaften muss sich aber vielmehr an ökologischen Zielen orientieren, denn an Logiken aus der Wirtschaftslehre.

Wirtschaftswachstum und Kohlenstoffemissionen

Anders als beim Ressourcenverbrauch existiert ein langfristiger, globaler Trend einer relativen Entkopplung des Wirtschaftswachstums von den Kohlenstoffemissionen. Auch eine absolute Entkopplung scheint erreichbar zu sein. Dabei stellt sich aber dennoch die Frage, ob wir diese Entkopplungen auch schnell genug erreichen, sodass wir die globalen Emissionen soweit senken können, dass eine globale Erwärmung bei maximal 2°C bleibt. Dem langfristigen Trend zum Trotz steigen die globalen CO2-Emissionen stetig. Nur während der wirtschaftlichen Rezessionen sind die Emissionen zurückgegangen. Die Verbesserungen in der „carbon producitivy“ (Kohlenstoffproduktivität), also der Wert, der pro verwendeter Kohlenstoffeinheit geschaffen wird, haben sich in den letzten Jahren stetig verlangsamt. Das heißt, dass das Wirtschaftswachstum gerade wieder für mehr Kohlenstoff verantwortlich ist. Die Autoren weisen darauf hin, dass jedes Wirtschaftswachstum stetig den Energiebedarf erhöht. Auch werden Kohlenstoffemissionen durch neue Flächeninanspruchnahme und industrielle Prozesse erhöht.

Bei der Betrachtung der empirischen Daten kommen die Autoren dennoch zu dem Schluss, dass eine absolute Entkopplung des Wirtschaftswachstums von Kohlenstoffemissionen möglich wäre. Dies passiert aktuell aber zu langsam, um die Pariser Klimaziele – insbesondere das 2°C Ziel bis 2050 – einhalten zu können. Alle Modelle, die Grünes Wachstum mit den Pariser Klimazielen verbinden, verlassen sich auf Technologien, die CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen (negative Emissionen). Deren Wirkungen sind aber entweder unbewiesen oder schwer vorherzusagen. Ein anderer Ansatzpunkt, für den die Autoren plädieren, wäre, die Wachstumsrate herunterzusetzen. Weniger Wachstum würde den2-Ausstoß reduzieren. Mit der Kombination von einem sehr geringen, fast gegen Null gehenden Wachstums mit den härtesten möglichen Minderungsregelungen für den CO2-Ausstoß könnte das 2°C-Ziel erreicht werden. Grünes Wachstum im Kontext der Kohlenstoffemissionen wäre also durchaus möglich.

Zur theoretischen Möglichkeit des Grünen Wachstums

In der Theorie gibt es verschiedene Ansätze, die die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch als realistisch betrachten, wobei die Effizienzsteigerung einen wesentlichen Platz in der Argumentation einnimmt. Dabei werden als Ausgangspunkte die großen Kapazitäten in der Effizienzsteigerung sowie ein struktureller Wandel im Ressourcenverbrauch gesehen.

Wenn Menschen ihre Kaufpräferenzen ändern und einen Fokus auf Produkte setzen, die bei der Herstellung und dem Vertrieb weniger Materialien und Ressourcen brauchen, könnte eine Wirtschaft auch weiterwachsen. Die Nachfrage für solche Produkte, egal welche das konkret seien, würde dazu führen, dass das BIP steigt – bei einer Abnahme der aufgewendeten Ressourcen. In der Theorie wäre also eine absolute Entkopplung bei diesem Gedankenspiel möglich. Die Befürworter vom Grünen Wachstum führen gerne diese Argumentation an. Dass das Ziel bisher noch nicht erreicht wurde, wird mit mangelnder Bereitschaft der Kunden erklärt.

Auf lange Sicht wird aber jede wachsende Wirtschaft immer einen Input an Ressourcen brauchen, um wachsen zu können. Denn auch jede Effizienzsteigerung hat ein Maximum und ist damit limitiert. Weiteres Wachstum nach Erreichen des Effizienzmaximums bedeutet weiteren Bedarf an Ressourcen. Die Autoren führen das Beispiel einer hypothetischen Wirtschaft an, deren Energie durch die Sonne gewonnen wird, die die stetige Versorgung mit Nahrungsmitteln garantiert, alle Lebensgrundlagen durch erneuerbare oder nachwachsende Ressourcen herstellt und in der alle Materialien wiederverwendet oder recycelt werden. Auch solch eine Wirtschaft braucht eine kleine Steigerung des Ressourcenverbrauchs, wenn diese wachsen soll – seien es Materialien oder eben Fläche.

Außerdem haben grüne Ökonom*innen gezeigt, dass eine effizientere Wirtschaft stärker wächst und damit wiederum mehr Ressourcen in den Produktionsprozessen konsumiert werden. Dieser Mechanismus greift auf zwei verschiedenen Ebenen. Zum einen treten auf der Mikroebene Rebound-Effekte auf, die die Ressourceneinsparung schnell wieder aufbrauchen. Zum anderen greift auf der Makroebene ein Grundsatz des Kapitalismus: die Produktivitätssteigerung ist ein wichtiger Teil des Wirtschaftswachstums. Dazu gehört auch die produktivere Nutzung von Ressourcen, was zugleich einen Mehrverbrauch von Ressourcen zur Folge hat.

In der Theorie ist es möglich, Grünes Wachstum zu erreichen. Maßgeblich wird hier über die Steigerung der Effizienz argumentiert, die noch lange nicht ihr Maximum erreicht habe. Jedoch sprechen empirische Studien dafür, das Grünes Wachstum sehr unwahrscheinlich ist. Die Autoren sind der Meinung, dass die Politik nicht auf die theoretische Möglichkeit eines Grünen Wachstum spekulieren sollte, sondern vielmehr empirische Beweise heranziehen sollten, um auf dieser Basis Regularien für eine nachhaltige Wirtschaft und ein nachhaltiges Leben festzulegen. Und dennoch: auch wenn Grünes Wachstum nicht für immer nachhaltig sein kann, kann es bei einer sofortigen Umsetzung unserer Zivilisation noch etwas mehr Zeit verschaffen. Zeit, die wir brauchen, um zu einer wirklich nachhaltigen Gesellschaft zu kommen.

Schlussfolgerung

Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass die bestehenden empirischen Studien die Theorie des Grünen Wachstums nicht bestätigen. Denn einem globalen Level wurde eine absolute Entkopplung des Ressourcenverbrauchs vom BIP noch nie erreicht. Dies wäre aber nötig für ein Grünes Wachstum. Zusätzlich müsste die absolute Entkopplung der Kohlenstoffemissionen vom BIP in einem Tempo erreicht werden, dass die Pariser Ziele zum maximalen Temperaturanstieg von 2°C bis 2050 eingehalten werden können. Dies ist zwar technisch möglich und in einigen Regionen der Welt ist auch eine absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Kohlenstoffemissionen schon erreicht, aber es ist unwahrscheinlich, dass dies in einem ausreichenden Tempo global realisiert wird. Damit ist auch die zweite Dimension des Grünen Wachstum nicht umsetzbar.

Ein großes Problem ist, dass sich Grünes Wachstum hauptsächlich auf Effizienzsteigerungen der Wirtschaft verlässt. Damit die Effizienzgewinne durch nötige weitere technologische Fortschritte wirksam sind, auch die wirtschaftliche Aktivität zurückgehen. Die nötige Reduzierung des Ressourcenverbrauchs und der Emissionen wird eher ohne Wachstum als mit Wachstum zustande kommen sein. Nur über eine Verkleinerung von Produktion und Konsum im Globalen Norden und ein Überwinden des Wachstumsnarratives können die planetaren Grenzen eingehalten werden. Wenn es wirklich unser Ziel ist, den klimatischen und ökologischen Kollaps zu verhindern, dürfen wir nicht mehr grenzenloses Wirtschaftswachstum hinnehmen, sondern müssen diese Prämisse hinterfragen.

Jedoch ist es politisch nicht akzeptiert, den Kapitalismus mit seinem immanenten Wachstum zu hinterfragen. Und kein Land der Welt würde freiwillig für Klima oder Umwelt das eigene Wirtschaftswachstum begrenzen. „Das, was politisch akzeptabel scheint, ist eine ökologische Katastrophe, während das ökologisch Notwendige politisch unmöglich ist.“ (Wackernagel & Ress, 1998)


[1] Jason Hickel & Giorgos Kallis (2019): Is Green Growth Possible?, New Political Economy, , DOI: 10.1080/13563467.2019.1598964

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