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26. Mai 2020

Metallische Rohstoffe: Der blinde Fleck

Erneuerbare Energien, E-Autos und die Digitalisierung gelten als wichtige Zutaten für das postfossile Zeitalter. Die neuen Technologien sind auf Kupfer, Lithium und Seltene Erden angewiesen. Ihr verstärkter Abbau dürfte bestehende lokale und geopolitische Ressourcenkonflikte eher noch verschärfen.

In seinem 2009 erschienen Artikel beleuchtet Sascha Müller-Kraenner geopolitische Verteilungskämpfe um fossile Rohstoffe. [1] Im letzten Absatz wertet der Autor den Ausbau erneuerbarer Energien und den Einsatz alternativer Antriebstechnik im Verkehr nicht nur als Bewältigungsstrategie für die derzeitige Klimakrise. Sie verringerten auch geopolitische Sicherheitsrisiken. Dezentrale erneuerbare Energiesysteme sind in der Tat wichtige Treiber für eine global-inklusive Energieversorgung und für den notwendigen Austritt aus dem fossilen Zeitalter. Die Verschiebung der Rohstofffrage vom fossilen in den metallischen Sektor wird allerdings zu oft vernachlässigt. Denn der Ausbau von erneuerbaren Energien und Elektromobilität wird, gemeinsam mit der Digitalisierung, die Nachfrage nach metallischen Rohstoffen und Seltenen Erden massiv erhöhen. Dadurch können sich bestehende Konflikte in den Abbauländern verschärfen und ungerechte Handels- und Machtstrukturen weiter verfestigen. Der alleinige Umstieg auf neue Technologien wird nicht ausreichen, um die globale sozioökologische Krise zu lösen.

Schon länger ist bekannt, dass der Abbau von und der Handel mit metallischen Rohstoffen zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen führt und in Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo und Kolumbien kriegerische Auseinandersetzungen bei Konflikten finanziert. Menschen werden für den Abbau von metallischen Rohstoffen zwangsumgesiedelt, verlieren ihre Ackerflächen und den Zugang zu sauberem Trinkwasser. Proteste der lokalen Bevölkerung, die Umwelt- und Gesundheitsbelastungen kritisiert, werden häufig gewalttätig niedergeschlagen. So auch in Peru. Hier gab es laut der lokalen Ombudsbehörde „Defensoria del Pueblo“ in den vergangenen zehn Jahren 270 Tote und über 4.600 Verletzte bei sozialen Konflikten, die zum Großteil mit dem Bergbau in Zusammenhang standen. Die verheerenden Auswirkungen der Lithiumgewinnung auf Menschen und Umwelt in Lateinamerika sind auch ein Thema für europäische Medien, da Lithium ein Schlüsselrohstoff für derzeitige Energiespeichertechnologien ist.

Ebenfalls extrem nachgefragt ist Kupfer. In semiariden bis ariden Ländern wie Peru und Chile geht der Abbau mit einem enormen Wasserverbrauch von bis zu 97,2 Kubikmetern pro Tonne Kupfer einher. [2] Außerdem alarmierend: Global nimmt die Umweltbelastung pro Tonne gefördertem Erz exponentiell zu, weil Metallkonzentrationen in Lagerstätten weltweit abnehmen und daher immer tiefgreifendere Eingriffe in die Natur nötig werden. [3] Darüber hinaus trägt allein die Förderung und Verarbeitung der sieben meistgenutzten Metalle zu sieben Prozent zum weltweiten Treibhausgasausstoß bei. [4]

Dramatischer Anstieg der Nachfrage

Die Nachfrage nach metallischen Rohstoffen wird durch Megatrends wie den Ausbau der erneuerbaren Energien, die E-Mobilität und die Digitalisierung stark ansteigen und damit auch die oben skizzierten Problematiken verschärfen. So prognostiziert eine aktuelle Studie des Thinktank earthworks, dass der globale Umbau zu einer einhundertprozentigen Energieversorgung durch Erneuerbare bis zum Jahr 2050 die Nachfrage nach Kupfer – bereits unter Berücksichtigung sehr großzügiger Recyclingraten – um 30 Prozent im Vergleich zur derzeitigen Fördermenge steigern wird. [5] Wie dramatisch sich die Rohstoffnachfrage verschärft, wenn neben erneuerbaren Energien der Rohstoffbedarf anderer wachsender Branchen im Bereich Digitalisierung und Elektromobilität dazukommen, zeigt eine Studie der Deutschen Rohstoffagentur (DERA) von 2016. Demzufolge könnte alleine die Kupfernachfrage der deutschen Industrie auf 30 Prozent der aktuellen weltweiten Fördermenge anschwellen.

Dieser Nachfrageanstieg wird nicht nur die Konkurrenz um Rohstoffe zwischen den Sektoren erhöhen. Er hat auch das Potenzial, die von Sascha Müller-Kraenner diskutierten geopolitischen Spannungen auf Kosten von Umwelt und lokaler Bevölkerung vom fossilen in den metallischen Sektor zu verlagern. Diesen Zusammenhang veranschaulichen die deutsche und europäische Rohstoffstrategie, die die Zugänge zu wirtschaftlich bedeutenden Rohstoffen sichern wollen. Sie wurden unter hohem Einfluss der deutschen Industrie 2010 und 2011 erarbeitet und waren eine Antwort auf den Exportstopp Seltener Erden von China, von deren Importen die Europäische Union zu 97 Prozent abhängig ist. Die europäische Strategie umfasst Handelsinstrumente, die Länder ohne Rücksicht auf eigene nationale Entwicklungswege und Umweltschutz zum Export ihrer Rohstoffe bewegen sollen. Hierzu zählen Klagen gegen Exportzölle bei der Welthandelsorganisation. Diese Zölle können für Förderländer ein wichtiges Instrument zur Stärkung der eigenen Industrie und zum Schutz der Umwelt sein. Belange globaler Verteilungsgerechtigkeit sowie die Einhaltung von Menschenrechten werden in den Strategien ignoriert oder in Randnotizen ausgelagert. Im Vordergrund steht die Zugangssicherung zu Rohstoffen und keine absolute Bedarfssenkung. Auch fehlen konkrete Maßnahmen, um Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft zu fördern.

Weniger Abfall und längere Nutzungszeiten

Kreislaufwirtschaft wird in Deutschland oft mit Recycling gleichgesetzt. Eine solche Betrachtung suggeriert, dass durch technische Effizienzsteigerungen Rohstoffe ohne Verluste beliebig wiederverwendet und im Kreislauf gehalten werden können. Derzeit erreichen jedoch nur etwa 35 Prozent des Elektroschrotts über Sammelsysteme den Recyclingprozess. Aufgrund verschiedener thermodynamischer Grenzwerte sind einzelne Metalle meist nur mit hohem Energieaufwand und aufwendigen Verfahren wiederverwertbar. Die zunehmende Miniaturisierung von Geräten zum Beispiel bei Mikrochips erschwert darüber hinaus sowohl die Reparatur als auch das Recycling. Kreislaufwirtschaft muss daher ihren Fokus auf Abfallvermeidung und lange Nutzungszeiten von Geräten sowie konsequente Suffizienzstrategien richten. Nur so kann eine absolute Reduktion unseres Rohstoffkonsums erreicht werden.

Der Blick muss nicht nur auf technische, sondern insbesondere auch auf soziale Innovationen und Prozesse gerichtet werden. So sind zum Beispiel Strategien des Teilens entscheidende Hebel zur Rohstoffreduktion, die die Politik mehr anerkennen und stärken muss. Hierzu gehört die Aufwertung bewährter Konzepte wie den öffentlichen Personennah- und -fernverkehr. Denn kraftstoffbetriebene Autos durch rohstoffintensive Elektrofahrzeuge zu ersetzen, verschärft die sozialökologische Krise massiv. Gesetzliche Rahmen müssen so gestaltet sein, dass Güter langlebig gebaut werden und in einzelne, wiedereinsetzbare Module zerlegbar sind. Darüber hinaus brauchen wir ein Recht auf Reparatur und eine reduzierte Mehrwertsteuer auf Reparaturdienstleistungen. Ebenso müssen wir unseren Energieverbrauch deutlich senken, um den Rohstoffeinsatz im Umbauprozess zu erneuerbaren Energien in einem global gerechten Rahmen zu halten.

Neben der absoluten Reduktion unseres Rohstoffverbrauchs müssen der Rohstoffabbau und -handel fundamental umstrukturiert werden. Transnationale Konzerne dominieren insbesondere in Ländern des Globalen Südens den Bergbausektor. In Guinea und Tansania lag der formelle Abbau 2007 sogar zu 100 Prozent in ihren Händen. [5] Der Großteil der Rohstoffgewinne floss somit an internationale Unternehmen und nur ein Bruchteil verblieb in den Abbauländern. In Subsahara-Afrika betragen die aus diesem Sektor generierten öffentlichen Haushaltseinnahmen nur einen geringen Teil von dem, was an Entwicklungsgeldern aus den Industrieländern in die jeweiligen Staatskassen fließt. [6] Nicht selten ist gerade dort, wo der Bergbau stattfindet, die Armut besonders groß.

Zu dieser Entwicklung haben auch die Strukturanpassungsprogramme der Weltbank Ende der 1980er-Jahre beigetragen. Konzessionsvergabeverfahren für den Bergbau wurden mit finanziellen Investitionsanreizen für multinationale Konzerne versehen, während öffentliche Besteuerungsinstrumente eingeschränkt wurden. [7] Dabei sollten Abbauländer die Möglichkeit bekommen, ihre eigenen Wertschöpfungsketten aufzubauen. Sie sollten auch den Rohstoffabbau auf ihrem Staatsgebiet verweigern können, ohne Investitionsklagen befürchten zu müssen. Die lokale Bevölkerung muss in diese Prozesse einbezogen werden. Darüber hinaus braucht es verbindliche Regeln für Unternehmen, die das Einhalten von Menschenrechten und Umweltstandards entlang ihrer gesamten Lieferkette festschreiben – nur so lassen sich Verstöße sanktionieren und reduzieren. Betroffene brauchen zudem einen Zugang zum Rechtssystem. Die Stärkung von Kleinbergbau und dessen Organisation in Kooperativen kann einen Beitrag zur wirtschaftlichen und rechtlichen Teilhabe der Bevölkerung am Rohstoffabbau leisten.

Festzuhalten bleibt: Nachhaltigkeitspolitik muss den Rohstoffverbrauch und -abbau immer im Blick behalten. Wenn eine global gerechte und ökologisch nachhaltige Entwicklung das Ziel ist, dann müssen wir die Frage nach dem global gerechten Maß für metallischen Rohstoffkonsum ins Zentrum der politischen Debatte rücken und Alternativen für eine rohstoffarme Lebensweise diskutieren und umsetzen.


[1] Müller-Kraenner, S. (2009): Pokern um Energie und Macht. Globale Versorgungssicherheit. In: politische ökologie (Bd. 115-116): Ressourcen. Kampf um knappe Schätze. München, S. 18-21.
[2] Angel, H. (2016): Water and carbon footprints of mining and producing Cu, Mg and Zn: a comparative study of primary and secondary sources.
[3] Mudd, G. (2009): The Sustainability of Mining in Australia: Key Production Trends and Their Environmental Implications for the Future. Research Report No RR5.
[4] Organisation for Economic Co-operation and Development OECD (2019): Global Material Resources Outlook to 2060 Economic drivers and environmental consequences. Highlights.
[5] Dominish, E./Teske, S./Florin, N. (2019): Responsible Minerals Sourcing for Renewable Energy.
[6] European Union (2012): Mining industry corporate actors analysis. Working paper n. 1.
[7] Lange, S. (2011): Gold and governance: Legal injustices and lost opportunities in Tanzania. In: African Affairs (110/439), S. 233–252.


Dieser Beitrag erschien zuerst im Oktober 2019 in der Zeitschrift politische Ökologie (Ausgabe 157/158).

Autor*in:
Johanna Sydow und Rebecca Heinz

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