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3. Juni 2021

Rohstoffboom im Kontext von post-Covid und grün-technologischem Umbau

Kapitalistisch interessant wird Boden durch das, was man auf ihm bauen und anbauen kann und durch das, was in ihm steckt: Bodenschätze. Und hier ist einiges in Bewegung geraten. Den Preisentwicklungen an den Rohstoffmärkten und den Analysen einiger Investmentbanker nach zu urteilen, steht die Welt vor einem neuen Rohstoff-Superzyklus. „Ich habe den besten Monat meiner gesamten Karriere, so viel bewegt sich hier gerade“, sagt Luke Sadrian im Februar 2021, Fondsmanager bei Commodities World Capital und bereits seit Anfang der 1990er Jahre im Geschäft.

Seit 2020 verteuern sich alle in Preisindizes zusammengefassten Rohstoffarten: Industriemetalle wie Kupfer, Nickel und Zinn, Edelmetalle wie Gold und Silber, Agrar- und Energierohstoffe. Der Preis für eine Tonne Kupfer lag Ende Februar bei über 9.500 US-Dollar und damit so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Ähnlich bergauf geht es seit Juli 2020 bei Gold und Silber. Mitte 2020 lag der Goldpreis bei über 2.000 US-Dollar die Unze und damit höher als in den Boomjahren 2011/12, als die Unze mit etwa 1.700 US-Dollar ihren höchsten Stand seit 1900 erreicht hatte. Die Frage ist, ob und wie sich dieser Preisanstieg in ein neuerliches Wettrennen um die Verfügungsgewalt über den Boden und seine wertvollen Schätze übersetzt und welche gesellschaftlichen, ökologischen und politischen Konsequenzen das hat.

Als Superzyklus (supercycle) bezeichnen Mark Burton, Thomas Bisheuvel und Alex Longley vom Informationsdienst Bloomberg eine „längere Periode, in der die Nachfrage die Preise weit über ihren langfristigen Trend treibt“. Der letzte supercycle im Rohstoffsektor liegt erst knapp zehn Jahre zurück. Zwischen 2000 und 2013 trieben die steigende Nachfrage nach Rohstoffen aus China und Indien, die krisenbedingte Suche nach sicheren Anlagefeldern fürs Kapital und die rohstoffintensiven Konsum- und Produktionsweisen der Mittel- und Oberschichten im globalen Norden und Süden die Preise anhaltend nach oben. Das lockte Kapital in diesen Sektor. Der Finanzdienstleister SNL Metals & Mining zeigte in einem Bericht 2014, dass die globalen Bergbauinvestitionen zwischen 2002 und 2008 um 677 Prozent zulegten. 2008 lagen sie weltweit bei 13,8 Milliarden US-Dollar, 2012 bereits bei über 20 Milliarden. Mehr als ein Drittel der Investitionen zielte auf Bergbauvorhaben in Lateinamerika, gefolgt von Afrika. Neben den Bodenschätzen richteten sich die Investitionen auch auf den Boden selbst, in dem die Schätze lagern. Daher nehmen seit 2008 Landaneignungen durch Kauf und/oder Vertreibung, bekannt als land grabbing, weltweit zu.

Folgen dieser Investitionen sind die Ausweitung des Bergbaus, die Erschließung neuer Flächen für die exportorientierte, industrielle Landwirtschaft, die Abholzung von Wäldern, die Zerstörung und Vertreibung kleinbäuerlicher und indigener Lebensgrundlagen und -weisen, Verarmung und Verdrängung ländlicher Bevölkerungen. Dadurch vermehren sich gesellschaftliche Konflikte um Naturausbeutung und -zerstörung, Verdrängung, die Verteilung der Gewinne, Teilhabe und Arbeit. Regionale Schwerpunkte dieser Entwicklungen waren und sind Lateinamerika, Afrika und Asien sowie Nordamerika und Australien. Aber auch Süd- und Osteuropa gerieten in den Fokus. Infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 und der erzwungenen Austeritätspolitik öffneten Länder wie Griechenland und Portugal ihre Rohstoffsektoren für Investitionen und vergaben Schürfrechte, vor allem für die Förderung von Gold. Beispiele sind die Minenprojekte Roșia Montană in Rumänien, Skouries in Griechenland, Boa Fé in Portugal und Corcoeste im Norden Spaniens.

Mit dem Begriff „Akkumulation durch Enteignung“ brachte David Harvey schon Anfang der 2000er Jahre die für den Superzyklus und die Krisenbearbeitung charakteristische Akkumulations- und Aneignungslogik auf den Punkt: Bisher fürs Kapital unattraktive, schwer förderbare Rohstoffvorkommen und kaum erschlossene landwirtschaftliche Flächen werden durch steigende Preise zu profitablen Anlagen (cheap assets). Anhaltend hohe Preise auf den Weltmärkten bieten also Anreize für eine erfolgreiche Kapitalverwertung, vor allem in Krisen- und Umbruchzeiten, in denen sich überakkumuliertes Kapital neue Bereiche für die Verwertung erschließen muss.

Die Gründe für den aktuellen Anstieg der Rohstoffindizes sind die Suche nach sicheren Anlagen (v.a. in Bezug auf Gold), die erneut steigende Nachfrage nach Industrierohstoffen aus China und die Erwartung eines Wachstumsbooms nach der Pandemie. Nicht zufällig klettern die Preise für Industriemetalle deutlicher seit November 2020, also seit dem Zeitpunkt, an dem Pharmakonzerne begannen, Zulassungen für Covid-19-Impfstoffe zu beantragen. Ein Grund, warum sich vor allem Metalle wie Kupfer und Nickel verteuern, sind die Konjunkturprogramme der EU-Staaten und der USA. Diese orientieren sich im Fall der EU, wenn auch nur eingeschränkt, am 2019 verabschiedeten Green Deal der EU-Kommission. Mit diesem verfolgt sie das Ziel, Europas Wirtschaft bis zum Jahr 2050 vollständig zu dekarbonisieren. Dafür sind Kupfer und Nickel unerlässlich, vor allem wenn es mittels einer Elektrifizierung der Wirtschaft erreicht werden soll.

Möglicherweise befördern also die Covid-Krise und der grüne, sozio-technologische Umbau der Wirtschaft nun einen neuen Superzyklus und mithin eine neue Phase der Akkumulation durch Enteignung von Rohstoffen und Böden. Diesmal vor allem mit einem Fokus auf jene „Schmierstoffe“, die eine grüne, elektrifizierte High-Tech Wirtschaft antreiben. Neben Industriemetallen wie Kupfer, Nickel, Zinn und Kobalt sind dies Lithium zum Bau von Batterien und erneuerbare Energiequellen unter anderem für die Herstellung von so genanntem grünem, mit erneuerbaren Energien produziertem Wasserstoff. Die relevanten Vorkommen dieser Rohstoffe befinden sich mehrheitlich im globalen Süden. Für die Herstellung von grünem Wasserstoff erwägt die Bundesregierung etwa einen Deal mit dem Kongo: Deutschland unterstützt das Land beim Bau eines Wasserkraftwerks und der Herstellung von grünem Wasserstoff, den der Kongo dann günstig an Europa verkauft. So jedenfalls stellt es sich der Afrikabeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke vor.

Die Frage ist, wie sich hohe Preise in neue Kupfer-, Gold,- oder Kobaltminen, Soja- und Palmölplantagen, Lithiumförderungen, Solarfelder und Wasserkraftwerke übersetzen. Dies ist nicht allein eine Frage von Angebot und Nachfrage, denn die unsichtbare Hand des Marktes allein hat bisher noch kein Gold gefördert. In der Vergangenheit waren es vielmehr politische Entscheidungen und Kräfteverhältnisse, die den letzten Superzyklus, die Umbrüche und Krisenbearbeitungen der 2000er Jahre in eine Bonanza für transnationale Bergbauunternehmen verwandelten und den Rahmen dafür schufen, dass Wälder zu Plantagen und Orten der Kapitalakkumulation und vielfältig genutzte Agrarflächen zu Minen, Monokulturen oder Spekulationsobjekten wurden.

Der Ausweitung des industriellen Bergbaus in Lateinamerika und Afrika ab Mitte der 2000er Jahre ging eine Phase tiefgreifender politisch-ökonomischer Strukturreformen voraus. Erst diese Reformen schufen für transnationale Unternehmen die Bedingungen für die „billige“ Aneignung bisher nicht geförderter Rohstoffe. Eingebettet waren sie in das als Washington Consensus bezeichnete neoliberale „Entwicklungsparadigma“, mit dem  Weltbank und  Internationaler Währungsfonds die Folgen der Schuldenkrise der 1980er Jahre bereinigen wollten. Das Ziel der Reformen war die Öffnung des Sektors für internationale Investitionen.  Für die Rohstoffsektoren in Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens, in denen bis dahin meist staatliche Unternehmen Kohle, Gold oder Kupfer gefördert hatten, bedeutete dies Privatisierung, Zerschlagung der Unternehmen, Deregulierung, Liberalisierung und Entwertung von Land und Rohstoffvorkommen. Ab Ende der 1980er wurden in mehr als 90 Ländern neue Bergbaugesetze zur Liberalisierung des Sektors und zur Schaffung von Anreizen fürs Kapital verabschiedet. An der Formulierung dieser Gesetze waren nicht selten die Weltbank selbst und Beratungsfirmen aus Ländern mit kapitalstarken Rohstoffkonzernen (z.B. Kanada) beteiligt.

Neben politischen Reformen und staatlicher Absicherung ist für Investoren der Zugang zu neuen Technologien eine entscheidende Voraussetzung dafür, von hohen Rohstoffpreisen auf den Märkten zu profitieren. So hatte etwa um 1940 Gold weltweit an ökonomischer Bedeutung verloren, die Förderung war eingebrochen. Ein Grund dafür lag darin, dass sich die „leicht“ und ohne allzu hohen technologischen Aufwand verfügbaren Goldvorkommen erschöpft hatten und die restlichen Vorkommen nur mit teurer Technik auszubeuten gewesen wären. Anfang des 21. Jahrhunderts dagegen verfügen transnationale Unternehmen über kapitalintensive Technologien, mit denen es sich bei hohen Marktpreisen lohnt, auch jene verstreuten und tief im Gestein gebundene Vorkommen an Silber, Gold oder Kupfer zu fördern, für die sich das Kapital bei geringen Verwertungschancen kaum interessiert.

Liberalisierung, Privatisierung, niedrige Exportsteuern und Abgaben und technologische Neuerungen schufen also die Rahmenbedingungen für den erneuten Ausverkaufs des Bodens und seines Untergrundes im globalen Süden. Ein Beispiel dafür ist Kolumbien. Hier wurde 2001 ein neues Bergbaugesetz verabschiedet. Einige Jahre später vereinfachte die Regierung per Dekret die langwierigen Umweltgenehmigungsverfahren für Bergbau und verkürzte diese von einigen Jahren auf wenige Monate. Das internationale Kapital dankte: Zwischen 2010 und 2014 floss mehr als die Hälfte der ausländischen Direktinvestitionen, die das Land erreichten, in den Bergbau. Die Zahl der vergebenen Konzessionen für Bergbau stieg zwischen 2002 und 2010 von 1.900 auf knapp 7.800. Über 60 Prozent dieser Schürfrechte gehören transnationalen Unternehmen. Konzessionen übertragen den Unternehmen quasi Eigentumsrechte, auch wenn ihnen der Boden nicht gehört, dieser bleibt Eigentum des Staates. Der Staat erlaubt damit den Unternehmen, sich sein Eigentum unter Bedingungen anzueignen, dafür erhält er einen Anteil vom Gewinn.

Neue Konzessionen bedeuten neue Minenprojekte, ein Anstieg der Produktion und der Unternehmensgewinne. Dies zeigt sich in ganz Lateinamerika. Zwischen 2000 und 2016 stieg die Förderung von Steinkohle in Kolumbien von 33 Millionen Tonnen auf 86 Millionen Tonnen, in Peru wuchs die Kupferproduktion zwischen 2012 und 2016 von 1,3 auf 2,3 Millionen Tonnen. Vergleichbare Entwicklungen und Zahlen finden sich in Brasilien für Gold, Bauxit und Soja, in Argentinien für Gold und Soja sowie in vielen westafrikanischen Ländern, etwa in Burkina Faso und Ghana in Bezug auf Gold.

Mit dem Rohstoffboom sind auch die Einnahmen rohstoffexportierender Staaten gestiegen. Diese Mehreinnahmen wurden in Lateinamerika vor allem von Mitte-Links-Regierungen zur Reduzierung von Armut und Ungleichheiten eingesetzt. Superzyklus und Liberalisierung begründeten so auf nationaler Ebene ein Entwicklungsmodell, das als (Neo-)Extraktivismus bezeichnet wird und bei dem soziale Verwerfungen mittels eines Zuwachses an Staatseinnahmen aus Rohstoff-Förderung und -Export bearbeitet werden sollen. Die damit verbundenen ökologischen Verwerfungen werden dabei in Kauf genommen. Auch in Ländern Afrikas und Asiens hat das Modell Konjunktur. Flankiert wird dieses Modell global durch ein neues Entwicklungsparadigma, das die argentinische Soziologin Maristella Svampa als Commodity Consensus bezeichnet und das ihrer Ansicht nach den Washington Consensus abgelöst hat. Zentrale Merkmale dieses neuen globalen „Konsenses“ sind Konsumausweitung, die Inwertsetzung und der Export von Primärgütern und Wirtschaftswachstum.

Trotz der Hegemonie marktliberaler, (neo-)extraktivistischer Politik und Krisenbearbeitung vor und während des letzten Rohstoffbooms blieb diese nirgends ohne Gegenwehr. Weltweit mobilisierten betroffene Bevölkerungsgruppen zusammen mit NGOs, (trans-)nationalen Bewegungen und Menschenrechtsorganisationen Protest, verhinderten geplante Vorhaben, setzten punktuell verbesserte Arbeitsbedingungen und Gewinnbeteiligungen durch und eröffneten Räume für alternative Lebensentwürfe, Entwicklungsvorstellungen und eine sozial-ökologische Praxis jenseits der Kapitalverwertung. Die Erfahrungen aus der Zeit des letzten Rohstoffbooms verdeutlichen, dass ökonomische Erfordernisse zur Bearbeitung von Krisen immer der staatlichen Durchsetzung bedürfen. Die Verfügung über den Boden bleibt damit Gegenstand politischer Kämpfe und Gegenbewegungen.

Dieser Beitrag erschien in leicht veränderter Form in der Aprilausgabe von OXI.

Autor*in:
Kristina Dietz