Erdgas – eine gesunde Alternative?
Die Lobbyinitiative der Gasindustrie „Zukunft Erdgas“ bewirbt Erdgas als zukunftsfähigen und sauberen Energieträger. Erdgas, so die Industrie, leiste einen Beitrag „für wirksamen und kostengünstigen Klimaschutz“. Dumm nur, dass immer mehr wissenschaftliche Studien dieses positive Image von Erdgas in Frage stellen. In „Too dirty, too dangerous – why health professionals reject natural gas“ beispielsweise gibt die amerikanische Organisation Physicians for Social Responsibility (PSR) einen Überblick über die mittlerweile zahlreichen wissenschaftlichen Erkenntnisse bezüglich der klimatischen und vor allem gesundheitlichen Aspekte der Erdgasförderung und –nutzung. Der Fokus liegt nicht nur auf der oft unterschätzten Leckage und Klimawirkung des Methans, sondern in erster Linie auf der steigenden Zahl an Studien, die Zusammenhänge zwischen Gesundheitsschäden und der Produktion von Erdgas untersuchen.
Messungen in der Nähe US-amerikanischer Fracking-Standorte konnten beispielsweise stark erhöhte Konzentrationen von zum Teil giftigen bzw. krebserregenden Kohlenwasserstoffen in Luft und Trinkwasser nachweisen. Eine andere Studie zeigt auf, dass durch Unfälle und Leckagen bei Produktion und Transport von Erdgas über 600 Millionen Liter kontaminierter Flüssigkeiten in die Umwelt gelangt sind – im Zeitraum von 2009 bis 2014. Darüber hinaus belegen Studien ein erhöhtes Risiko von Frühgeburten sowie eine erhöhte Anzahl von Krankenhausaufenthalten auf Grund von Krebserkrankungen und neurologischen Krankheiten, je näher der Wohnort an einer Erdgasförderstelle liegt.
Zwar sind die meisten Studien zum Zusammenhang von Erdgasproduktion und öffentlicher Gesundheit neu, Warnungen und Verdachtsmomente gab es allerdings schon früher. So scheinen die Studien nun zu bestätigen, was insbesondere Fracking-Gegner*innen schon lange kritisiert hatten, schließlich sind die in Fracking-Flüssigkeiten eingesetzten Begleitstoffe in Teilen hochgiftig und umweltschädlich. Die Indizien dafür, dass die Risiken für Gesundheit und Umwelt im Zusammenhang mit der Erdgasförderung, speziell dem Fracking, weit größer sind als gemeinhin angenommen, häufen sich also – zumindest in den USA. Handelt es sich dabei um US-spezifische Probleme, zurückzuführen auf geringe Sicherheits- und Umweltstandards und Deregulierung, etwa die Ausnahme von Fracking aus dem Safe Drinking Act und dem Clean Air Act im Jahr 2005 (bekannt geworden als Halliburton Loophole)? Oder sind diese Erkenntnisse auch für die Diskussion über Erdgas als Energieträger in Deutschland relevant, weil vor allem die gesundheitlichen Risiken der Erdgasförderung bisher unterschätzt oder gar nicht erst untersucht wurden?
90 Prozent der deutschen Erdgasproduktion (in 2015: 9,3 Milliarden Kubikmeter) kommen aus Niedersachsen, die Fördermenge ist allerdings seit Jahren rückläufig. In den USA zeigt sich ein gegenläufiger Trend: Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde die Fördermenge der amerikanischen Erdgasproduktion jährlich gesteigert, Mitte der 2000er Jahre gab es zuletzt einen regelrechten Erdgasboom durch den Einsatz der Fracking-Technologie in sogenannten unkonventionellen Lagerstätten. Dass die Fördermenge in den USA mittlerweile die deutsche Produktion fast um das Hundertfache übersteigt, zeugt von der ungleich höheren Bedeutung der Erdgasindustrie und erklärt die wesentlich umfangreicheren wissenschaftlichen und medizinischen Untersuchungen der mit Erdgasförderung und –nutzung verbundenen Risiken in den USA. Ein großer Teil der amerikanischen Studien beschäftigt sich jedoch mit den negativen Auswirkungen im Umkreis von wenigen Kilometern um die Förderstelle und ist damit im Wesentlichen unabhängig von der Gesamtfördermenge.
Im Zusammenhang mit der Erdgasförderung gibt es verschiedene potentielle Gefahrenquellen: Lagerstättenwasser, Bohrschlämme, Fracking-Flüssigkeiten und prozessbedingte Emissionen, zu denen auch Methanleckagen zählen. Die Schadstoffe gelangen auf unterschiedlichen Wegen und in unterschiedlichen Mengen in die Umwelt. Zu unterscheiden sind dabei bewusst in Kauf genommene Emissionen, für die bestimmte Grenzwerte definiert werden, und solche, die in Folge von Unfällen, Lecks und dergleichen entstehen. Zu kleineren Unfällen kommt es bei der Erdgasförderung in Deutschland immer wieder, beispielsweise wenn Lagerstättenwasser im Zuge von Wartungsarbeiten in den Boden gelangt oder Leitungen Leck schlagen. Doch auch im normalen Betrieb gelangen Schadstoffe in die Umwelt, sodass in der Nähe von Bohrlöchern erhöhte Konzentrationen an Kohlenwasserstoffen und Quecksilber nachgewiesen werden können. Notwendig sind deshalb regelmäßige und unabhängige Untersuchungen, um die Einhaltung der Grenzwerte zu gewährleisten. In Niedersachsen begann das LBEG als zuständige Behörde jedoch erst 2015 damit, Bodenproben eigenständig zu untersuchen. Zuvor hatte sich die Aufsichtsbehörde für die Rohstoffgewinnung in Niedersachsen auf die Angaben der erdgasfördernden Unternehmen verlassen. Anlass waren schließlich verschiedene nicht repräsentative Untersuchungen von Bürgerinitiativen und Umweltschutzorganisationen im Umfeld von Erdgas-Bohrlöchern. Diese hatten zum Teil Ergebnisse oberhalb der zulässigen Grenzwerte geliefert.
Viele Bürger*innen in den betroffenen Gebieten fühlen sich nicht ausreichend informiert und einem unkalkulierbaren Risiko durch Schadstoffe im Zusammenhang mit der Erdgasförderung ausgesetzt. Im Landkreis Rothenburg, wo an über 100 Förderplätzen nach Erdgas gebohrt wird, konnte der NABU 2014 bei Untersuchungen erhöhte Quecksilberwerte in der Nähe einzelner Bohrlöcher nachweisen. Teilweise lagen die Werte mehr als 10-mal über dem gesetzlichen Grenzwert, teilweise aber auch weit darunter. Anwohner*innen bringen diese und andere Untersuchungen mit erhöhten Krebsraten und anderen Krankheiten in einzelnen Gebieten in Verbindung, obwohl sich der Zusammenhang wissenschaftlich nicht zweifelsfrei herstellen lässt. Die Fallzahlen sind zu gering, um einzelne Faktoren isolieren zu können, und die Raten nur punktuell und nicht flächendeckend erhöht. Zudem konnten bei Untersuchungen des LBEG in den Jahren 2010 und 2012 keine Überschreitungen der Quecksilber-Grenzwerte ermittelt werden, 2015 startete eine weitere umfassende Untersuchung.
Die Stimmung in den betroffenen Regionen ist aufgeheizt, die Fronten zwischen Bürger(-initiativen) und Förderunternehmen sind verhärtet und die Verunsicherung ist groß. Der Zusammenhang zwischen Erdgasförderung und Gesundheitsschäden ist nicht auszuschließen, zweifelsfrei nachweisbar ist er allerdings auch nicht. Zudem fehlen aufgrund der mangelhaften Kontrollen der Aufsichtsbehörden in den letzten Jahrzehnten umfassende Daten über verschiedene Giftstoffe und deren Eintrag in die Umwelt. Über 200 Ärzte aus der Region forderten in einem offenen Brief im letzten Jahr von der niedersächsischen Sozialministerin Mittel für eine umfassende Untersuchung eines möglichen Zusammenhangs von Erdgasförderung und erhöhten Krebsraten in der Region. Anlass war eine Untersuchung des Epidemiologischen Krebsregisters Niedersachsen, die für die Stadt Rothenburg eine signifikant erhöhte Rate an Krebserkrankungen festgestellt hatte. Vergleichbare Studien aus den USA erhärten den Verdacht, dass diese derartigen Häufungen von Krankheitsfällen auch auf die Erdgasförderung zurückzuführen sind – insbesondere dort wo die räumliche Nähe von Wohngebieten und Erdgasförderplätzen groß ist. Zudem ist bekannt, dass ein Teil der im Umfeld von Erdgasförderstellen gemessenen Schadstoffe nachweislich unter anderem Krebs verursachen können – jenseits statistischer Analysen kann der Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und Erdgasförderung bislang allerdings nicht zweifelsfrei wissenschaftlich belegt werden. Ein Argument, das auch die erdgasfördernden Unternehmen gern nutzen, um die Vorwürfe rundweg abzuweisen. Was bisher fehlt, ist eine umfassende Untersuchung dieser Zusammenhänge in Deutschland und eine Berücksichtigung der bisherigen Indizien und Erkenntnisse, wenn über Erdgas als vermeintlich sauberen und sicheren Energieträger diskutiert wird. Nachdem in den letzten Jahren die Erdgasförderung und die Anzahl der Neubohrungen stark zurückgegangen war, haben die Unternehmen angekündigt, die Förderung wieder auszuweiten und dabei auch Fracking einzusetzen. Das Anfang 2017 in Kraft getretene Fracking-Gesetzespaket verschafft der Gasindustrie eine sichere Planungsgrundlage und gibt den Startschuss für neue Förderprojekte. Abwarten, bis die offenen Fragen über die Gesundheitsrisiken der Erdgasproduktion in Deutschland abschließend geklärt sind, muss die Erdgasindustrie nun nicht mehr.
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