CCS im Abfallsektor untergräbt Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz
Geschrieben von Janine Korduan für Klimareporter.de.
Bei der Müllverbrennung wird wegen des hohen Plastikanteils viel fossiles CO2 frei. Die Bundesregierung stuft diese Emissionen als „unvermeidbar“ ein, obwohl es erprobte und bezahlbare Alternativen gibt. Im Abfallsektor droht eine teure, klimaschädliche Sackgasse.
Nachdem 2016 kleine Experimente zur CO2-Abscheidung an der Müllverbrennungsanlage in Oslo stattfanden und Abscheideraten von 90 Prozent angekündigt wurden, ist das Projekt inzwischen gescheitert. Insgesamt wurden nur 0,0001 Prozent der ursprünglich geplanten Mengen abgeschieden. Das CO2 sollte zum Northern-Lights-Projekt transportiert und unter der Nordsee gespeichert werden.
Acht Jahre später, 2023, wurde das Projekt auf unbestimmte Zeit pausiert, da die Kosten für Staat und Unternehmen das Maximum überstiegen und der Zeitplan nicht mehr eingehalten werden konnte. Die Ankündigung, dass es 2024 weitergehen würde, ist bereits überholt und das Projekt liegt wieder auf Eis.
Industrie verspricht 60 bis 70 Prozent weniger Emissionen
In deutschen Abfallverbrennungsanlagen entstehen heute etwa 24 Millionen Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr. Etwa die Hälfte davon ist fossil, vor allem durch die Verbrennung von Plastik, der Rest ist biogen. In den Müllöfen werden die meisten Inhalte der deutschen Restmüll- und Gewerbetonnen verbrannt, obwohl diese zum Großteil vermeidbar oder recycelbar sind.
Mittels der CCS-Technik (Carbon Capture and Storage) sollen künftig sogenannte „unvermeidbare“ Emissionen aus Industrieprozessen oder aus der Müllverbrennung vor dem Austritt in die Atmosphäre durch CO2-Filter zum Beispiel an Schornsteinen abgefangen, dann über gigantische Gasleitungs-Infrastrukturen transportiert und großteils unter dem Meeresboden gespeichert werden.
Die CCS-Technik verspricht, zwischen 60 und 70 Prozent der in Müllverbrennungsanlagen entstehenden Emissionen einzufangen. Ein Versprechen, das in der Praxis auf der ganzen Welt keinen Beleg findet – also ein Märchen?
Im Kern der Diskussion steht die Frage, welche Emissionen wirklich unvermeidbar sind. In einigen wenigen Industriebereichen werden tatsächlich unvermeidbare Restemissionen entstehen, weil es bisher keine Alternativen gibt. Biogene, natürliche Kohlenstofffixierung kann hier eine Win-win-Lösung für Klimaschutz und biologische Vielfalt sein.
Um den Weg für CCS auch im Abfallsektor zu ebnen, wurden vor Kurzem Emissionen aus Abfallverbrennungsanlagen in Deutschland als unvermeidbar deklariert und damit die Wärme- und Energieerzeugung aus Abfallverbrennung quasi erneuerbaren Energien gleichgestellt. Nach Einschätzung von Expert:innen ist das eine folgenschwere Fehlannahme.
Vermeidung der Emissionen technisch möglich und kostengünstig
Bei den Emissionen aus dem Abfallsektor, besonders aus der Verbrennung von Plastik und anderen Wertstoffen, handelt es sich keinesfalls um unvermeidbare Emissionen. Im Gegenteil: Sie sind größtenteils vermeidbar – durch vergleichsweise einfache, technisch bereits verfügbare, also ausgereifte Maßnahmen, die zudem deutlich kostengünstiger sind als eine bundesweite CCS-Infrastruktur.
Schon 2019 errechnete das Öko-Institut, dass eine Reduktion der Müllverbrennung um 20 Prozent direkt möglich ist – allein durch den Vollzug bestehender Gesetze wie etwa der Getrenntsammelpflicht, also ohne eine einzige Gesetzesänderung.
Die derzeit verhandelte Novelle des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes (KSpG) soll dennoch den Grundstein für den Ausbau der CCS-Infrastruktur, auch im Abfallsektor, legen und Anreize für Milliardeninvestitionen sowohl aus dem öffentlichen Haushalt als auch von privaten Investor:innen setzen.
Nachdem das CCS-Experiment in Oslo mangels Erfolg eingestellt wurde, steht die einzige aktive vergleichbare Anlage zur CO2-Abscheidung im Abfallsektor im niederländischen Duiven. Dort werden bislang im Schnitt nur knapp elf Prozent der Emissionen abgefangen – und dies ist das „erfolgreichste“ Projekt weltweit.
Es besteht beim Aufbau der CCS-Infrastruktur also die Gefahr, dass weiterhin fast 90 Prozent der Emissionen aus der Abfallverbrennung ungehindert in die Atmosphäre austreten. Dennoch will man sich bei der Dekarbonisierung des Sektors auf eine Industrie verlassen, die dem Entstehen von Abfällen, besonders von Verpackungsmüll, nichts entgegenzusetzen hat und weiter so wachsen will wie bisher.
CCS im Abfallbereich verhindert Kreislaufwirtschaft
Tatsächlich zeichnet sich heute bereits ein Trend zum Ausbau von noch mehr und noch größeren Müllverbrennungsanlagen ab – besonders mechanisch-biologischer Anlagen, also auch zur Verbrennung von Holz: in Berlin für rund 100.000 Tonnen pro Jahr, in Hamburg für 320.000 Tonnen, in Rom für gigantische 600.000 Tonnen.
Zahlen aus Großbritannien belegen zudem: Mehr Müllverbrennungsanlagen führen zu weniger Recycling. Innerhalb von zwei Jahren sank der britische Recyclinganteil um etwa ein Viertel, während die Abfallverbrennung um etwa den gleichen Anteil zunahm.
CCS würde Anreize setzen, mehr zu verbrennen statt zu reparieren, aufzuarbeiten und zu recyceln. Die Wälder in Europa und weltweit wären in akuter Gefahr.
Wie so oft wird auch mit CCS im Abfallsektor versucht, das eigentliche Kernproblem kosmetisch zu überdecken, statt es an der Wurzel zu packen. Nach wie vor produziert Deutschland viel zu viel Müll, speziell beim Verpackungsmüll sind wir Europameister.
Zudem landen viel zu viele schon heute vermeidbare Abfälle in Restmüll- und Gewerbeabfalltonnen und damit in Verbrennungsanlagen. Bei deutschen Restmülltonnen sind es etwa zwei Drittel, beim Gewerbe-Restabfall noch deutlich mehr. Diese Wertstoffe sind vor allem Bioabfälle, aber auch Textilien, Altpapier, Elektroaltgeräte sowie besonders CO2-intensive Verpackungsabfälle und Verbundwerkstoffe aus Kunststoff.
In Deutschland werden jedes Jahr 13 Millionen Tonnen Hausmüll weggeworfen, davon sind rund sieben Prozent Kunststoffe. Kunststoffe bilden die CO2-intensivste Fraktion im Hausmüll, bei ihrer Verbrennung entsteht zwei- bis dreimal so viel CO2 wie bei regulärem Restmüll.
Zudem enthält der Hausmüll nach wie vor rund 40 Prozent biogener Stoffe wie Kompost, deren Verbrennung auch hochgradig vermeidbar ist.
Das Potenzial, die Rest- und Gewerbemüllmengen vor ihrer Verbrennung stark zu reduzieren, ist enorm. Dabei geht es um Abfallvermeidung, zum Beispiel durch unverpackte Waren und Mehrweg, um besseres Produktdesign – Stichwort Design for Recycling – und um eine bessere Sammelinfrastruktur mit Getrennterfassung und Recycling der Wertstoffe und einer Nachsortierung des Restmülls.
Damit können auch etliche Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Zusätzlich können diese Maßnahmen dazu beitragen, Deutschlands Importabhängigkeit von Öl, Gas und anderen Rohstoffen zu reduzieren.
Das Abfallvermeidungsprogramm der Bundesregierung nennt unzählige Maßnahmen für Bund, Länder und Kommunen – sie müssten nur umgesetzt werden. Wissenschaftlich nachgewiesen würden folgende Maßnahmen Abfälle wirksam reduzieren und das beträchtliche Wertstoffpotenzial heben:
- konsequente Abfallberatung
- verursachergerechte Abfallgebühren über Identsysteme
- optimierte Getrenntsammlung aller Wertstoffe, auch im Gewerbe
- bundesweite Wertstofftonne
- bundesweite Biotonne
- Um- und Ausbau von Wertstoffhöfen für Reparatur und Verkauf, etwa in Gebrauchtkaufhäusern
Verfügbare Klima-Lösungen in die Breite tragen
Bei der sogenannten Restmüllnachsortierung („Mixed Waste Sorting“) können Kunststoff und andere Wertstoffe mittels sensorgestützter Verfahren aus dem Abfall zielgenau heraussortiert werden. Würde der Haus- und Gewerbe-Restmüll nachsortiert und über 75 Prozent des enthaltenen Plastiks recycelt – dies ist technisch möglich und realistisch, wie es die skandinavischen Firmen Tomra und Sörab bereits vormachen – würden pro nicht verbrannter Tonne Kunststoff über zwei Tonnen CO2 direkt eingespart.
Auch deutsche Unternehmenzeigen wie Unisensor oder Cleansort zeigen schon heute, dass es massive Potenziale beim Recycling gibt, die mit den richtigen Investitionen direkt gehoben werden können.
Zur technischen Machbarkeit kommen Gesetze auf EU- und Bundesebene, die zu erhöhtem Design for Recycling führen werden. 2030 sollen alle Verpackungen vermeidbar oder recycelbar sein, Verpackungsrichtlinie und Ökodesign-Verordnung geben dies vor.
Andere konkrete Beispiele für ressourcen- und klimapolitisch sinnvolle Investitionen am Anfang der Wertschöpfungskette sind die Etablierung von Mehrweg als das neue Normal in allen Bereichen. In Tübingen bietet mittlerweile der Großteil aller Gastronomiebetriebe Mehrweg im To-go-Bereich an, ausgelöst durch eine Verpackungssteuer und eine Förderung von Spülmaschinen.
Ein Großteil der fossilen Emissionen aus der Müllverbrennung kann also allein bei der für die EU-Ziele sowieso notwendigen flächendeckenden Ausweitung von Restmüllnachsortierung und Plastikrecycling eingespart werden. Hinzu kommen bundesweit mehrere hundert Millionen Tonnen eingesparter CO2-Emissionen bei der Plastik-, Dünger- und Metall-Neuproduktion sowie durch Abtrennung von Bioabfällen und Metallen.
Chancen für Wirtschaft und Arbeitsplätze
Für die mittelständische Wirtschaft könnten weitere Vorteile hinzukommen. Die EU hat errechnet, dass durch den europaweiten Ausbau der Mehrweginfrastruktur bis 2030 bis zu 600.000 neue Jobs entstehen. Bei einem Ausbau der Kreislaufwirtschaft ergäbe sich ein positiver Netto-Beschäftigungseffekt von knapp 180.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen allein in Deutschland. Weiterer positiver Nebeneffekt ist die Reduktion der Importabhängigkeit von Rohstoffen.
Und schließlich könnten auch die deutschen Fernwärmenetze tatsächlich – und nicht nur scheinbar – erneuerbar werden. Denn die Erzeugung von Wärme aus der Müllverbrennung wird fälschlicherweise als regenerative, klimaschonende Form der Energieerzeugung klassifiziert.
In Wahrheit weist die Verbrennung von „normalem“ Hausmüll sogar eine höhere CO2-Last pro erzeugter Kilowattstunde auf als die Verbrennung von Erdgas. Deutsche Ingenieurskunst ist für die größte Wärmepumpe der Welt verantwortlich – gebaut wird sie jedoch in Dänemark und nicht in Deutschland.
Auf das richtige Pferd setzen
Wir müssen uns klarmachen, was gerade passiert. Wir laufen Gefahr, deutlich mehr CO2-Emissionen in neuen und noch größeren Müllverbrennungsanlagen durch die Verbrennung von Plastik- und biologischem Abfall, auch Holz, zu verursachen, die dann bei einer nur elfprozentigen Abscheiderate so gut wie ungefiltert in die Atmosphäre freigesetzt werden.
Stattdessen muss es darum gehen, Ursachen zu bekämpfen. Das heißt, generell weniger Abfall zu produzieren und das größte Problem des Abfallsektors – den Kunststoff – vor der Verbrennung auszusortieren und zu recyceln.
Zudem ist heute durch die kommende EU-Verpackungsverordnung, die Kunststoffverpackungen perspektivisch abschaffen soll, bereits ein Trend zu mehr Papierverpackungen zu beobachten. Wir laufen also auch noch Gefahr, für Papierverpackungen mehr Wälder abzuholzen, statt unsere wichtigsten CO2-Speicher endlich wirksam zu schützen.
Eine CCS-Infrastruktur für den Abfallsektor würde die Klima-, Ressourcen- und Biodiversitätskrise befeuern, die Risiken vergesellschaften und Konzernen ermöglichen, ihre fossilen, klimaschädlichen Geschäftsmodelle weiterzubetreiben. Die Gelder werden für echten Klima- und Ressourcenschutz fehlen.
Zudem besteht die Gefahr, dass die Industrie Politik und Gesellschaft mit falschen Versprechungen angeblicher „Negativemissionen“ in die Irre führt. Indem ein neuer Markt für entsprechende CO2-Zertifikate entsteht, könnte die Wirtschaft deutlich länger fossil bleiben und gleichzeitig neue Profite erzielen – alles unter dem Etikett der „Klimaneutralität“. So besteht die konkrete Gefahr, dass im Namen des Klimaschutzes weltweit immer mehr Wälder verheizt werden.
Jetzt ist die Zeit, umzusteuern, Abfallverbrennungsanlagen nicht an eine mögliche CCS-Infrastruktur anzuschließen und Steuergelder für echten Klimaschutz einzusetzen.
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Dieser Blogbeitrag ist zunächst im Oktober 2024 bei Klimareporter.de erschienen.
Autor*in:
Janine Korduan