Der EU Critical Raw Materials Act – eine erste kritische Einschätzung
Was haben Autobatterien, Windräder und Militärpanzer gemeinsam? Ihre Produktion hat sich in den letzten Jahren stark erhöht und erfordert eine große Menge bestimmter Rohstoffe, die in der EU nicht vorkommen. Um den Zugang dazu sicherzustellen, legt die EU mit dem Critical Raw Materials Act einen ambitionierten aber auch problematischen Gesetzesvorschlag vor. Eine Einschätzung.
Von Karin Küblböck (ÖFSE), April 2023
Der sichere Zugang zu mineralischen Rohstoffen war für die EU lange Zeit keine strategische Priorität, waren sie doch für die Industrie in ausreichender Menge verfügbar. Das starke Wirtschaftswachstum Chinas seit Beginn der 2000er Jahre hat dazu geführt, dass sich dessen internationale Rohstoffnachfrage in kurzer Zeit vervielfacht hat. China konzentriert in vielen Fällen auch das Angebot an Rohstoffen: Einige für Energiewende und Digitalisierung benötigte Rohstoffe werden fast ausschließlich dort abgebaut oder verarbeitet. Bei anderen Rohstoffen ist das Angebot ebenfalls auf einige wenige Länder konzentriert. Diese Situation bietet Grund zur Besorgnis für die EU, die Rohstoffversorgung wurde zu einem wichtigen strategischen Ziel. Im Jahr 2008 wurde mit der Europäischen Rohstoffinitiative die erste EU-weite Rohstoffstrategie verabschiedet. 2020 folgte der Aktionsplan zu kritischen Rohstoffen.
Rechtsakt mit ambitionierten Zielen und Zeitplan
Die zunehmende Nachfrage nach erneuerbarer Energie sowie unterbrochene Lieferketten aufgrund der Covid19-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine haben die problematische Rohstoffabhängigkeit der EU weiter verdeutlicht. Im Jahr 2022 kündigte die EU-Kommissionspräsidentin erstmals einen verbindlichen Rechtsakt an: den Critical Raw Materials Act (CMRA). Der Zeitplan ist ambitioniert. Nach einer ersten Konsultation im Herbst 2022 veröffentlichte die EU-Kommission am 16. März 2023 einen ersten Textvorschlag, der nun diskutiert wird und bis 20. Juni öffentlich kommentiert werden kann. Vor der Wahl des neuen EU-Parlaments 2024 soll das Gesetz beschlossen werden. Die Initiative besteht aus einer Verordnung und einer Mitteilung. Erstere schafft einen rechtlichen Rahmen um den Ausbau der Kapazitäten innerhalb der EU zu unterstützen, Zweitere schlägt Maßnahmen zur Diversifizierung der Lieferketten vor.
Vier strategische Ziele wurden festgelegt:
- alle Stufen der europäischen Wertschöpfungskette für kritische Rohstoffe stärken
- die Importe der EU diversifizieren um strategische Abhängigkeiten zu verringern
- zukünftige Versorgungsrisiken besser überwachen und eindämmen
- einen funktionierenden Binnenmarkt sicherstellen, sowie die Kreislauffähigkeit und Nachhaltigkeit der in der EU verbrauchten kritischen Rohstoffe erhöhen
Kritische und strategische Rohstoffe
Seit 2011 erstellt die EU-Kommission eine Liste sogenannter „kritischer Rohstoffe“. Als kritisch wird ein Rohstoff bezeichnet, wenn er für die EU-Wirtschaft von großer Bedeutung ist und es gleichzeitig Versorgungsrisiken gibt. Seit 2011 ist ihre Anzahl von 14 auf 34 angestiegen. Bei manchen ist die Importabhängigkeit von einzelnen Ländern besonders hoch: So kommen aktuell über 90 % des EU-Verbrauchs von Seltenen Erden und Magnesium aus China und von Borat aus der Türkei. Die Verarbeitung dieser Ressourcen ist ebenso oft auf wenige Länder konzentriert, wodurch neue Abhängigkeiten entstehen. Im Anhang des CRMA findet sich eine aktualisierte Liste mit 34 kritischen Rohstoffen, von denen 16 als strategische Rohstoffe eingestuft werden. Neu sind konkrete Zielvorgaben für letztere: Bis 2030 soll die EU mindestens 10 % des jährlichen Bedarfs aus heimischen Vorkommen abbauen, 40 % innerhalb der EU verarbeiten und 15 % aus in der EU recycelten Rohstoffen bereitstellen. Zudem sollen bis 2030 höchstens 65 % des jährlichen EU-Bedarfs an jedem strategischen Rohstoff in allen relevanten Verarbeitungsstufen aus einem einzigen Drittstaat kommen.
Umsetzung der Zielvorgaben in der EU und in Drittländern
Ein zentraler Teil der Verordnung bezieht sich darauf, den Abbau und die Verarbeitung von kritischen Rohstoffen innerhalb der EU zu erhöhen. Dafür soll die EU-Kommission so genannte „Strategische Projekte“ identifizieren. Sie sollen vereinfachten und beschleunigten Genehmigungsverfahren unterliegen und beim Zugang zu Finanzmitteln unterstützt werden. Weiters sollen nationale Behörden kritische Rohstoffprojekte in ihrer Raumplanung berücksichtigen, Rohstoffvorkommen identifizieren und diese Informationen öffentlich zugänglich machen. Die Kommission soll eine stärkere Rolle beim Monitoring von Rohstoffvorräten und der Antizipation möglicher Versorgungsengpässe erhalten. In Bezug auf Kreislaufwirtschaft sollen Mitgliedsstaaten Abfallsammlung, Recycling, Wiederverwendung von Produkten sowie die Verwendung von Sekundärrohstoffen erhöhen und die Entwicklung der nötigen Fähigkeiten bei Arbeitnehmer*innen sicherstellen.
Die Mitteilung hält fest, dass durch Kooperationen mit Drittländern Abbaubemühungen in den betreffenden Ländern verstärkt werden sollen. Dies soll u.a. durch Rohstoffpartnerschaften sowie Handels- und Investitionsabkommen erreicht werden. Rohstoffpartnerschaften wurden bisher mit Kanada, Ukraine, Kasachstan und Namibia vereinbart. Des Weiteren will die EU weiter entschlossen gegen Exportbeschränkungen im Rohstoffsektor u.a. durch WTO-Klagen vorgehen. Gleichzeitig wird der Win-Win Charakter der Zusammenarbeit betont, indem etwa die Wertschöpfung in Produzentenländern erhöht werden soll. Die EU-Kommission soll auch in Drittländern Strategische Projekte identifizieren, die einen verbesserten Zugang zu Finanzmitteln erhalten und auch für das betreffende Land einen Mehrwert schaffen müssen.
Mangelnde umwelt- und entwicklungspolitische Kohärenz
Verordnungstext und Zeitplan zeigen, wie dringlich die Sicherstellung der Versorgung mit kritischen Rohstoffen für die EU ist. Das ist einerseits auf den hohen internationalen Wettbewerb um diese Rohstoffe zurückzuführen, andererseits auf die Bemühungen um erhöhte strategische Autonomie in Schlüsselsektoren. Der Umstieg auf nachhaltige Energien erfordert zweifellos den Einsatz von bestimmten mineralischen Rohstoffen. Daten zeigen jedoch, dass der Rohstoffverbrauch der Industrieländer bereits jetzt um ein Vielfaches über einem für planetare Grenzen vertretbaren Niveau liegt und dass Abbau und Verarbeitung dieser Rohstoffe hohe Umwelt- und soziale Kosten, vor allem in den rohstoffreichen Ländern des Globalen Südens, nach sich ziehen.
Hier liegt die zentrale Schwachstelle der Verordnung: Sie enthält keine Zielsetzungen für eine Reduktion des gesellschaftlichen Energie- und Ressourcenverbrauchs, wie etwa bei der Herstellung oder dem Konsum von Produkten oder im Bereich der gesellschaftlichen Infrastruktur (z.B. Mobilität oder Wohnen). Kreislaufwirtschaft ist in der Verordnung auf vermehrtes Recycling beschränkt, auch wenn aktuelle Diskussionen (z.B. in der österreichischen Kreislaufwirtschaftsstrategie) weit darüber hinaus gehen.
Der Schwerpunkt der Verordnung auf der Förderung von strategischen Projekten mit beschleunigten Genehmigungsverfahren ist differenziert zu betrachten: Der Aufbau von mehr behördlichen Kapazitäten, um bestehende Verfahren, wie etwa für erneuerbare Energien, zu beschleunigen, ist sinnvoll. Gleichzeitig sind aufgrund der oft äußerst problematischen Auswirkungen von Rohstoffprojekten umfangreiche Umweltverträglichkeitsprüfungen und die Beteiligung der betroffenen Bevölkerung unerlässlich und eine wichtige demokratiepolitische Errungenschaft der letzten Jahrzehnte. Hier besteht die Gefahr, dass unter der Begründung „öffentliches Interesse“, die in dem Verordnungstext angeführt aber nicht weiter definiert wird, legitime Einwände gegen Projekte übergangen werden.
In der Zusammenarbeit mit Drittländern betont der Text den Nutzen, den Projekte auch für Partnerländer haben müssen. Doch gerade EU-Handels- und Investitionsabkommen untergraben oft jenen Spielraum, den Länder brauchen, um höhere Wertschöpfung in ihren Rohstoffsektoren zu erreichen. Die EU sollte ihrem eigenen Anspruch an entwicklungspolitischer Kohärenz Genüge tun und ihr Know-How nützen, um sicherzustellen, dass Rohstoffprojekte möglichst umweltschonend sind. Wertschöpfung, lokale Wirtschaftskreisläufe sowie Arbeitsplätze mit hohen Standards sollen dabei im Mittelpunkt stehen.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich im April 2023 auf der Webseite der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE).
Autor*in:
Karin Küblböck