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23. September 2020

Da fehlt doch was! Die EU-Industriestrategie lässt zentrale Punkte zu Klimaschutz offen

Die am 10.03.2020 veröffentlichte EU-Industriestrategie war das erste sektorale Papier der EU-Kommission im Rahmen des Green Deals. Erwartungsgemäß benannte es auch den „Beitrag zu einem klimaneutralen Europa bis 2050“ als eins von drei Zielen. Allerdings merkt man es dem Papier an, dass die aktuellen Handelskriege und die angespannten Situationen mit den großen Handelsblöcken USA und China die Autor*innen wohl am meisten umgetrieben haben. Bei Klimaschutz in der Industrie hingegen findet sich nur unkonkrete Prosa. Ein Datum für das Erreichen der Klimaneutralität der europäischen Schwerindustrie fehlt ebenso wie zentrale Maßnahmen.

Die gewandten Formulierungen in der EU-Kommissionstonalität können es kaum überspielen: Die EU-Industriestrategie ist vor allem ein Papier der Angst. Angst vor den schon stattfindenden Handelskriegen. Angst vor der immer stärker werdenden Konkurrenz aus Asien. Angst vor dem „Sicherheitspartner“ USA, der in Trump-Zeiten sehr aggressiv innereuropäische Konflikte schürt und europäische Firmen bedroht. Angst vor den Einnahmeausfällen durch den Brexit. Es ist auch ein Papier der Hilflosigkeit, denn neue Lösungen für diese Probleme fallen der Kommission anscheinend nicht ein. Und dann ist da noch der Klimaschutz…

Soll man unter diesen Umständen froh sein, dass Klimaschutz überhaupt vorkommt? Ja! Es ist ein großer Erfolg der Klimapolitik, der Klimaschutzbewegung und der vielen Bürger*innen Europas, die entschlossen für den Klimaschutz auf die Straße gehen, dass „Beitrag zur Klimaneutralität 2050“ als eines der drei Hauptziele der EU-Industriestrategie die gleiche Bedeutung beigemessen wird wie Wettbewerbsfähigkeit und Digitalisierung. Das Thema Klimaschutz zieht sich durch und ist prominent auf der Agenda. Aber damit enden die guten Nachrichten. Denn im Detail fehlt so ziemlich alles, was für den Wandel zu einer klimaneutralen Industrie in Europa benötigt wird.

Die Strategie spricht von Klimaneutralität der Industrie und insbesondere von Klimaneutralität der emissionsintensiven Industrien Stahl, Zement und Basischemikalien. Sie spricht auch von Unterstützung für neue klimaneutrale Technologien. Doch es fehlen konkrete Emissionsminderungsziele für den Sektor Industrie für 2030, 2040 und spätestens 2050. Angesichts der langen Investitionszyklen in diesen sehr kapitalintensiven Grundstoffindustrien ist damit so gut wie nichts gesagt. Die Investitionen werden jetzt geplant, doch ohne konkrete Ziele für die kommenden Dekaden fehlt für diese wegweisenden Entscheidungen der dringend benötigte verlässliche Rahmen.

Unklar bleibt auch, inwiefern mit zusätzlichen Investitionshilfen für klimaneutrale Anlagen zu rechnen ist. Die Strategie kündigt eine Verbesserung der public innovation policy an, aber auch das ohne Datum. Neben den notwendigen Hilfen bei den hohen Investitionen ist auch der Umgang mit den höheren Betriebskosten klimaneutraler Prozesse ein ausschlaggebender Faktor für die Investitionsentscheidung. Das zentrale Instrument hierfür, die Carbon Contracts for Difference, wird in der EU-Industriestrategie allerdings nicht genannt. Ebenso fehlen entscheidende Maßnahmen, um Leitmärkte für klimaneutrale Materialien zu schaffen. Die besondere Rolle, die der öffentlichen Beschaffung dabei zukommt, wird zwar im Text erwähnt, aber nicht mit konkreten Maßnahmen und Zeitangaben unterlegt. Überlegungen zu Normen, Quoten oder Standards für die emissionsarmen neuen Versionen von Stahl, Zement und Basischemikalien fehlen gänzlich.

Besonders wenig überzeugend liest sich die Strategie in Bezug auf Zement. Während für Stahl und Basischemikalien Lösungsoptionen zumindest genannt werden und sich auch Ausführungen zu Wasserstoff finden, wurde Carbon Capture and Storage (CCS), also die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid, an keiner Stelle erwähnt. Damit wird für die Zementindustrie innerhalb der EU-Industriestrategie keine Lösungsoption aufgezeigt. Die Emissionen der Zementindustrie machen derzeit ca. 5 Prozent der EU-weiten Emissionen aus. Um die Prozessemissionen aus der Zementherstellung zu vermeiden, bietet CCS den einzigen bekannten Weg zu Null-Emissionen.

Nun sind die emissionsintensiven Prozesse zwar die größte Herausforderung, aber keineswegs das einzige Handlungsfeld. Selbstverständlich hat die Kreislaufwirtschaft ein enormes, bisher unerschlossenes Potenzial und muss somit ebenfalls einer der wichtigsten Schwerpunkte der europäischen Industrie- und Innovationspolitik bleiben. Mit dem Bewusstsein, mich ein weiteres Mal zu wiederholen: Es fehlen auch hier konkrete Maßnahmen. Es wird zwar ein hohes Ambitionsniveau für die Kreislaufwirtschaft formuliert: “revolutionise the way we design, make, use and get rid of things by incentivising our industry”, jedoch lediglich auf bestehende andere Vorgänge (Circular Economy Action Plan) oder auf die Ankündigung neuer Strategien verwiesen.

Das einzige Instrument, das sich anhört, als könnte es Klimaschutz bewirken, ist das sogenannte „Carbon Border Adjustment“ (BCA, CO2-Grenzausgleichsmechanismus). Bezeichnenderweise findet es sich jedoch im Kontext von Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. Die Formulierung, dass BCA „our current tools to tackle carbon leakage” unterstützen soll – also letztlich das Abwandern CO2-intensiver Produktionszweige ins Ausland verhindern soll -, lässt befürchten, dass die konkrete Ausgestaltung protektionistisch angelegt und auf die Generierung zusätzlicher Einnahmen nach dem Brexit gerichtet sein könnte. Einen Nutzen für Klimaschutz kann BCA aber nur erbringen, wenn es die „vorhandenen Instrumente“ abschafft, speziell die heutigen freien Zuteilungen innerhalb des europäischen Emissionshandels.


Eine detailliertere Auswertung und WWF-Forderungen finden sich unter: https://carbonmarketwatch.org/wp-content/uploads/2020/07/Cleaning-up-industry_-why-the-EUs-strategy-isnt-enough-yet-WWF-and-Carbon-Market-Watch%E2%80%99s-assessment-of-the-European-Commission-Communication-.pdf

Autor*in:
Dr. Erika Bellmann; Policy Advisor Climate & Energy WWF Deutschland

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