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Ressourcenwende | Der Europäische Green Deal – Transformationsmotor oder grünes Feigenblatt?
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24. September 2020

Der Europäische Green Deal – Transformationsmotor oder grünes Feigenblatt?

Der EGD mit seinen vielfältigen Maßnahmen klingt sehr verheißungsvoll. Dieser Überblicksartikel zeigt auf, welche Themenbereiche der EGD umfasst. Er bietet damit einen Einstieg in diese Schwerpunktreihe zur Ressourcenpolitik der EU.

Klimaneutralität bis 2050, höhere Energie- und Ressourceneffizienz, eine naturverträgliche und tiergerechte Landwirtschaft, Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität, Etablierung einer Kreislaufwirtschaft, weniger gefährliche Chemikalien und Pestizide, ein schonender Umgang mit Ressourcen – und dennoch eine wachsende Wirtschaft. Die Verheißungen des europäischen Green Deal sind vielfältig. Kann er halten, was er verspricht?

Am 11. Dezember 2019 präsentierten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihr Vize Frans Timmermans den als neue Wachstumsstrategie ausgegebenen European Green Deal (EGD). Von der Leyen bezeichnete ihn damals als „Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment“. Die Kommission verfolgt damit nach eigener Aussage das Ziel, den Übergang zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft zu schaffen, in der

  1. bis 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden,
  2. das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt wird und
  3. niemand, weder Mensch noch Region, im Stich gelassen wird.

Doch die weltweite Covid-19-Pandemie hat nicht nur den Zeitplan der Kommission gehörig durcheinandergebracht. Auch die Agenda der deutschen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr ist von der Erholung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie geprägt. Andere Themen sind angesichts dessen in den Hintergrund gerückt. Ein gemeinsamer europäischer Weg durch die Pandemie und ein wirtschaftlicher Wiederaufbau werden im Fokus stehen. Aber genau hier liegt auch ein großes Potenzial, den Wiederaufbau ökologisch und sozial zu gestalten. Nicht nur Umweltschutzorganisationen warnen davor, im Schatten von Pandemie und Wirtschaftskrise den EGD zu untergraben. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat die Aufgabe dies zu verhindern.

Welche Themengebiete der Deal konkret umfasst, welche Strategien und Gesetzesinitiativen bereits veröffentlicht sind und was noch folgen wird, fasst dieser Überblicksartikel zusammen. Ins Detail gehen andere Beiträge, die Teil dieser Schwerpunktreihe zur Ressourcenpolitik der EU sind.

Was steckt im Green Deal?

Die Mitteilung der Kommission zum EGD liest sich äußerst ambitioniert. In den Bereichen Klimaschutz und Energie, Biodiversität, Umweltschutz, Landwirtschaft, Mobilität, Digitalisierung, Industrie, Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft, Verbraucher*innenschutz, Chemikalien, Verschmutzung, Finanzwirtschaft, Nachbarschafts- und internationaler Politik soll der Deal dazu beitragen, Wirtschaft und Gesellschaft in der EU ökologisch nachhaltig und sozial gerecht umzugestalten. Dieses Jahr will die EU-Kommission bis auf wenige Legislativvorschläge wie das EU-Klimaschutzgesetz hauptsächlich Strategien vorlegen. Einige sind schon erschienen und kontrovers aufgenommen worden. Diese Strategien sollen dann in den Folgejahren durch rechtliche Vorgaben untermauert werden.

Das Herzstück des EGD ist die Vorgabe, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen. Zur rechtlichen Verankerung des Ziels hat die EU-Kommission bereits Anfang März 2020 einen Vorschlag für das europäische Klimagesetz (legislativ) verabschiedet. Unklar ist hier allerdings, zu welchen Anteilen Emissionsreduktion und (technologische, etwa Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, und natürliche, wie Wälder und Moore) CO2-Senken zur Treibhausgasneutralität beitragen sollen. Weitere Schwerpunktthemen sind die Schaffung von Rahmenbedingungen für mehr Biodiversität sowie einem nachhaltigen Ernährungssystem und die Überarbeitung des Aktionsplans Kreislaufwirtschaft. Bisher wurden das EU-Klimaschutzgesetz, der Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft, die Industriestrategie, der Investitionsplan für den europäischen Grünen Deal und der Fonds für einen gerechten Übergang, die Biodiversitätsstrategie 2030, die Farm-to-Fork-Strategie und die europäische Wasserstoffstrategie veröffentlicht. 

Reaktionen von Umweltverbänden

Die Voraussetzung des EGD, die ökologischen Herausforderungen unserer Zeit anzuerkennen, daraus eine politische Handlungsnotwendigkeit abzuleiten und die Intention des EGD, eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformation anzustoßen, sind wichtige und große Schritte. Hierin sind sich viele deutsche und europäische Umweltverbände einig. Allerdings – und auch das ist Konsens – sehen viele die Schritte als zu klein an, um die ökologischen Herausforderungen und Krisen zu bewältigen. Der EGD darf nicht ein „grünlackiertes ‚Weiter so‘“ bedeuten, warnte Olaf Brandt, Vorsitzender des BUND. Wirtschaftswachstum und Effizienzsteigerung sind nicht die Lösungen für die Probleme, sondern die Ursachen. Suffizienz sowie ökologische und soziale Gerechtigkeit müssten im EGD einen prominenteren Platz einnehmen.

Damit der EGD gelingt und mehr ist als Symbolpolitik, hat ein Bündnis aus Birdlife, WWF, das Europäische Umweltbüro (EEB) und Friends of the Earth Europe fünf zentrale Forderungen aufgestellt:

  • ehrgeizige und glaubwürdige Strategien gegen den ökologischen Kollaps
  • vollständige Umsetzung und Durchsetzung der bestehenden Umweltgesetze
  • ein rechtsverbindliches Wiederherstellungsziel für Natur und Klima
  • Gewährleistung eines wirksamen Meeresschutzes
  • Verringerung des globalen Fußabdruckes der EU

Leerstelle Ressourcenpolitik im EGD

Der EGD widmet sich den zwei elementaren Krisen unserer Zeit: der Biodiversitäts- und der Klimakrise. Weniger prominent wird die dritte Krisenkomponente diskutiert: die Ressourcenkrise. Sind Reduktionsziele bei den Emissionen und die Vergrößerung von Schutzflächen zum Erhalt der Biodiversität konkret, fehlen konkrete Ziele bei der absoluten Senkung des Ressourcenverbrauchs. Dass dieses Ziel fehlt, ist jedoch nicht verwunderlich, da es dem konkreten Anspruch des EGDs – eine grüne Wachstumsstrategie zu sein – entgegenstünde. Wirtschaftliches Wachstum und bei gleichzeitiger Reduktion des Ressourcenverbrauchs hat es bisher in einem überregionalen Level noch nicht gegeben und zahlreiche Studien zweifeln die Möglichkeit an. Um den Ressourcenverbrauch vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln, braucht es ambitioniertere Ziele als die Effizienzsteigerung.

Überdies sind für die geplante Dekarbonisierung von Schlüssel- und energieintensiven Industrien vielerorts Technologien notwendig, die Rohstoffe benötigen, deren Vorkommen begrenzt sind. Für die erneuerbaren Energien sind bspw. seltene Erden notwendig. Je weiter der Ausbau vorangetrieben wird, desto stärker steigt auch die Nachfrage nach diesen seltenen Erden. Anstiege bei der Rohstoffnachfrage von mehr als 200 Prozent bei den seltenen Erden sind dabei nur ein geringer Anstieg, verglichen mit der Prognose, dass der Kobaltbedarf in den nächsten 20 Jahren um 2.400 Prozent steigen könnte. Dass der Abbau oftmals mit Menschenrechtsverletzungen und auch mit Umweltzerstörungen sowie Klimabelastungen einhergeht, konterkariert die Bemühungen der EU auf genau diesen Ebenen. Die veröffentliche Industriestrategie der EU spricht jedoch dafür, dass genau dies passieren wird. Demnach sei es essenziell, die Versorgung der EU mit kritischen Rohstoffen zu gewährleisten, damit die Dekarbonisierung gelingen kann. Wie diese Versorgungssicherung aussieht, verrät ein Blick auf die Handelspolitik der EU: die Ausbeutung der Rohstoffe soll durch die Deregulierung und Liberalisierung erleichtert werden. Unter Betrachtung dieser Punkte scheint eine Verringerung der Ressourcennutzung abwegig.

Einen Hoffnungsschimmer gibt es jedoch: der Aktionsplan zur Kreislaufwirtschaft setzt viele gute Ansatzpunkte. Auch wenn an vielen Punkten quantifizierte Ziele fehlen und die Abfallvermeidung stärker priorisiert werden muss, soll im Bereich Produktdesign viel für nachhaltigere Produkte geleistet werden. Auch die Reduzierung von Einwegmaterialien und die Verbesserung der Recyclebarkeit sind gute Ansatzpunkte.

Zwei Dinge zum Schluss

Obwohl der EGD aus dem Berlaymont teils ehrgeizige Ziele steckt und hohe Erwartungen weckt, dürfen zwei Dinge nicht vergessen werden. Erstens mahlen die Mühlen des Brüsseler Gesetzgebungsverfahrens langsam. Bis die beschlossenen Gesetze auf die nationale Ebene durchgesickert sind, können noch Jahre vergehen. Angesichts des massiven Handlungsdrucks, die dramatischen Klima-, Biodiversitäts- und Ressourcenkrisen in den Griff zu bekommen und die tiefgreifende Transformation von Volkswirtschaften und Gesellschaften zu realisieren, könnte der EGD zum Papiertiger werden. Zweitens sind an den Gesetzgebungsprozessen das EU-Parlament und die EU-Mitgliedstaaten gleichermaßen beteiligt. Beide Institutionen können also maßgebliche Änderungen an den Initiativen der Kommission beschließen – zum Guten wie zum Schlechten. Erinnert sei exemplarisch an die Blockadehaltung Polens im Rat, dem langfristigen Ziel der Klimaneutralität 2050 zuzustimmen. Und auch in Deutschland gibt es in Regierungskreisen Widerstand gegen ein höheres Klimaziel 2030. Ob Bundesumweltministerin Svenja Schulze als Vorsitzende des EU-Umweltrates ihre Amtskolleg*innen bis Dezember zu einer gemeinsamen Position bzgl. Klimagesetz bewegen kann, bleibt abzuwarten.


Zum Weiterlesen:

Steckbrief der EU-Koordination: Der Europäische Green Deal für die Transformation Europas
Steckbrief der EU-Koordination: Der Europäische Green Deal für die Transformation Europas
EU-Kommission: Mitteilung und Zeitplan zum Green Deal
EU-Kommission: Infoseite zum Green Deal EU-Kommission: Angepasster Zeitplan (Mai 2020)


Übersicht der Maßnahmen

Vorschlag für ein europäisches „Klimagesetz“ zur Verankerung des Ziels der Klimaneutralität bis 2050 (04.03.2020)
– Umfassender Plan zur Anhebung des Klimaziels der EU für 2030 auf mindestens 50 % mit Tendenz zu 55 % in verantwortungsvoller Weise (17.09.2020)
– Vorschläge für die Überarbeitung der einschlägigen Legislativmaßnahmen zur Erreichung der ambitionierteren Klimaschutzziele im Anschluss an die Überprüfung der Richtlinie über das Emissionshandelssystem, der Lastenteilungsverordnung (ESR), der Verordnung über Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (LULUCF), der Energieeffizienz-Richtlinie, der Erneuerbare-Energien-Richtlinie und der CO2-Emissionsnormen für Personenkraftwagen und leichte Nutzfahrzeuge
– Vorschlag für eine Überarbeitung der Energiebesteuerungsrichtlinie
– Vorschlag für ein CO2-Grenzausgleichssystem für ausgewählte Sektoren
– Neue EU-Strategie zur Anpassung an den Klimawandel
– Bewertung der endgültigen nationalen Energie- und Klimapläne
– Strategie für eine intelligente Sektorenintegration
– Initiative „Renovierungswelle“ für den Bausektor soll am 14.10.2020 veröffentlicht werden
– Bewertung und Überprüfung der Verordnung über die transeuropäische Energieinfrastruktur
– Strategie für Offshore-Windenergie, für Oktober 2020 erwartet
EU-Industriestrategie (10.03.2020
Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft, einschließlich einer Initiative für nachhaltige Produkte, mit besonderem Schwerpunkt auf ressourcenintensiven Sektoren wie dem Textil-, Bau-, Elektronik- und Kunststoffsektor (11.03.2020)
– Initiativen zur Förderung von Leitmärkten für klimaneutrale und kreislauforientierte Produkte in energieintensiven Industriezweigen
– Vorschlag zur Förderung der CO2-freien Stahlerzeugung bis 2030
– Rechtsvorschriften für Batterien zur Unterstützung des Strategischen Aktionsplans für Batterien und der Kreislaufwirtschaft
– Vorschläge für Rechtsreformen im Bereich Abfallwirtschaft
– Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität
– Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen zur Unterstützung der Einrichtung öffentlicher Ladestationen und Tankstellen als Teil der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe
– Prüfung legislativer Optionen, um die Produktion und Bereitstellung nachhaltiger alternativer Kraftstoffe für die verschiedenen Verkehrsträger zu fördern
– Überarbeiteter Vorschlag für eine Richtlinie über den kombinierten Güterverkehr
– Überprüfung der Richtlinie über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe und der Verordnung über das transeuropäische Verkehrsnetz
– Initiativen zur Erhöhung und besseren Verwaltung der Kapazitäten des Schienenverkehrs und der Binnenwasserstraßen
– Vorschlag für strengere Grenzwerte für Luftschadstoffemissionen von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor
– Prüfung der Entwürfe der nationalen Strategiepläne unter Berücksichtigung der Ziele des europäischen Grünen Deals und der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“
Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ (Farm-to-Fork) (20.05.2020)
– Maßnahmen, einschließlich legislativer Maßnahmen, zur deutlichen Verringerung des Einsatzes und des Risikos chemischer Pestizide sowie des Einsatzes von Düngemitteln und Antibiotika
EU-Biodiversitätsstrategie bis 2030 (20.05.2020)
– Maßnahmen gegen die Hauptursachen des Biodiversitätsverlusts ab 2021
– Neue EU-Forststrategie 2020
– Maßnahmen zur Förderung entwaldungsfreier Wertschöpfungsketten ab 2020
– Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien
– Null-Schadstoff-Aktionsplan für Luft, Wasser und Boden
– Überprüfung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Verschmutzung durch große Industrieanlagen
– Vorschlag für einen Mechanismus für einen gerechten Übergang, einschließlich eines Fonds für einen gerechten Übergang, sowie für einen Investitionsplan für ein nachhaltiges Europa (beides 14. Januar 2020)
– Neue Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen Herbst 2020
– Überprüfung der Richtlinie über die Angabe nicht-finanzieller Informationen 2020
– Initiativen zur Überprüfung und Bewertung der Verfahren der Mitgliedstaaten und der EU für eine umweltgerechte Haushaltsplanung ab 2020
– Überprüfung der einschlägigen Leitlinien für staatliche Beihilfen, darunter auch die Leitlinien für Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2021
– Ausrichtung aller neuen Initiativen der Kommission an den Zielen des Grünen Deals sowie Innovationsförderung ab 2020
– Ermittlung von Unstimmigkeiten in Rechtsvorschriften durch die Interessenträger und Beseitigung dieser Unstimmigkeiten, die die Wirksamkeit der Umsetzung des europäischen Grünen Deals beeinträchtigen ab 2020
– Einbindung der Ziele für nachhaltige Entwicklung in das Europäische Semester ab 2020
– Aufrechterhaltung der Führungsrolle der EU bei internationalen Verhandlungen über Klima und Biodiversität und weitere Stärkung des internationalen politischen Rahmens ab 2019
– Stärkung der „Diplomatie des Grünen Deals“ der EU in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten ab 2020
– Bilaterale Bemühungen, um die Partner zum Handeln zu bewegen und die Vergleichbarkeit von Maßnahmen und Strategien zu gewährleisten ab 2020
– Grüne Agenda für den Westbalkan ab 2020
– Europäischer Klimapakt
– Vorschlag für ein 8. Umweltaktionsprogramm

Autor*innen:
Ann Wehmeyer
Tom Kurz

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